Puppenmuseum
Die Puppenfabrik „Bärbel“, Arno Heise
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Das Puppenmuseum präsentiert auf großer Fläche eine Auswahl von Erzeugnissen der ehemaligen Puppenfabrik „Bärbel“.
Neuheiten ergänzten ständig das Produktionssortiment der Firma und unter der jahrzehntelang relativ stabilen Angebotspalette gab es Spitzenprodukte, für die durchgehend hoher Bedarf bestand:
Babypuppen „Baffi, Susi und Tina“ mit wechselnder Bekleidung Clowns und Harlekins Disco-Puppen mit unterschiedlicher Bekleidung „Lange Kerls“ in Uniform Märchenpuppen (Rotkäppchen u.a.) Pioniere Rokoko-Puppen Seeleute Stopf- und Schlenkerpuppen Trachtenpuppen (Fläming, Schwarzwald, Tirol, Dirndl) Weihnachtsmann Zwerge „Hein, Bollo und Plattfuß“
Neben den, je nach Verwendungszweck anmutig bis prächtig ausgestatteten Puppen sind einzelne Arbeitsschritte anhand originaler erhaltener Fertigungsutensilien anschaulich dargestellt; vom Rohmaterial bis hin zur fertig bekleideten und frisierten Puppe.
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1946 erinnerte sich der damals 20jährige Arno Heise aus Magdeburg stammmend und dort im Krieg ausgebombt und trotz Abitur nun praktisch vor einem Nichts stehend, an die Kenntnisse des Tonformens, die aus seiner Schulzeit stammten.
Als Familienbetrieb mit Unterstützung durch die Eltern begann er, anschließend an die traditionelle Görzker Töpferei, Figuren aus Ton herzustellen, die in einer der Tonwarenfabriken anfangs nur im Rauchgaskanal des Brennofens mitgebrannt wurden. Bunt bemalt und in Koffern verpackt, verließen Schafe, Hühner, Hunde, aber auch Weihnachtsmänner, Rotkäppchen und Schornsteinfeger die kleinen Arbeitsräume in Görzke. Per Fahrrad und Eisenbahn transportierte die Familie Heise die Produkte zu verschiedenen Einzelhändlern nach Magdeburg.
1947 schlug die Geburtsstunde der ersten Görzker Puppe namens Petra. Sie war 18 cm groß und vollständig aus Ton. Körper und Kopf waren starr verbunden. Arme und Beine wurden mit Igelitband am Rumpf befestigt. Körper, Gesicht und Haare mußten mit der Hand bemalt werden. Die handgeschneiderte Kleidung der Puppe bestand aus gewaschenen Alttextilien.
Die Nachfrage nach Görzker Spielwaren stieg in kurzer Zeit stark an, denn bei den Kindern, die den Krieg miterlebt hatten, herrschte großer Nachholebedarf. Bis zu zehn Arbeitskräfte waren 1948 in den Räumen der ehemaligen Töpferei Spitta in der Chausseestraße damit beschäftigt, Puppen und Tierfiguren herzustellen.
Auf der Leipziger Messe des Jahres 1948 stellte die Puppenfabrik Arno Heise erstmals ihre Produkte aus; allerdings noch als Mitaussteller auf dem Stand einer Firma aus Ziesar. Unter den ersten Kunden, die auf der Messe Görzker Puppen kauften, waren Spielzeuggroßhändler aus dem gesamten Gebiet der DDR, die zum Teil bis zur Schließung des Betriebes 1995 noch auf der Kundenliste standen.
1949 zeigte man, nun auf eigenem Messestand in Leipzig, ausschließlich Tonpuppen. Die Produktion von Tierfiguren wurde in dieser Zeit eingestellt.
Die 50er Jahre brachten große Veränderungen in der Produktion mit sich. Der Werkstoff Ton wurde durch einen Kunststoff verdrängt. 300 Buna-Latex-Puppen erblickten jetzt täglich das Licht der Welt. Die im Vergleich zu Ton wesentlich leichtere und fast unzerbrechliche Puppe verließ als Rotkäppchen, Dirndl, Tiroler oder Negerpuppe bekleidet den Betrieb. Schuhe und Strümpfe waren anmodelliert und mußten, genau wie Haare und Gesicht, bemalt werden. Körper, Arme und Beine wurden ebenfalls gefärbt. Auch die „Bärbel“-Puppe der 50er Jahre trug noch Kleider aus Alttextilien.
Neben der Familie Heise sorgten zehn Beschäftigte dafür, daß die Lieferverpflichtungen, auch für den Export in die UdSSR, die USA und die BRD erfüllt werden konnten.
Um die Produktion weiter ausbauen zu können, waren Heises gezwungen, den Betrieb mit staatlicher Beteiligung weiterzuführen. Die Arno-Heise-KG löste 1968 den Buna-Latex als Grundstoff ab und übernahm PVC für die Produktion der Puppen. Die nun unzerbrechliche 20 cm große „Bärbel“ kam mit farbigem Körper nach einem Geliervorgang aus den kupfernen Galvano-Hohlformen.
Auch bei dieser Technologie waren die Haare anfangs farbig aufgespritzt. Das änderte sich 1969, als man begann, Kunsthaar einzusteppen, das gekämmt und als Pferdeschwanz, Ponyfrisur und zu Zöpfen frisiert die Puppen im Aussehen und im Gebrauchswert wesentlich verbesserte.
Ab 1970 wurde eine 25 cm große Puppe wiederum mit unterschiedlicher Bekleidung gefertigt.
1972 ging der Betrieb in Volkseigentum über. Als VEB Puppenwerk Görzke führte man mit nun 70 Arbeitskräften die begonnene erfolgreiche Entwicklung weiter. Die Exporte in die UdSSR, Ungarn, CSSR, Albanien und Jugoslawien nahmen in dieser Zeit etwa 50 % der Produktion ein.
Die neue 30 cm große Babypuppe des Jahres 1972 durchlief wie ihre Vorgängerinnen die Gelieranlage und die Haarsteppmaschinen, sie bekamen Gesichter wurden zusammengesteckt und gekleidet. Einige Arbeitsgänge wurden fast ausschließlich von Heimarbeitern ausgeführt.
Seit 1981 gehört das Puppenwerk Görzke zum VEB Mechanische Spielwaren Brandenburg. Die Palette der Puppenproduktion wurde durch Stopfpuppen bis zu 45 cm Größe erweitert.
1989 sind rund 100 Beschäftigte im Görzker Puppenwerk tätig. Eine halbe Million Puppen verlassen jährlich den Betrieb.
An fünf Blasautomaten werden für Puppen aus Polyäthylen Körper und Beine geformt. Mit der Herstellung von Flaschen für die chemische Industrie und Rädern für Spielzeugautos ist eine maximale Auslastung der Automaten gesichert.
Nachdem die PVC-Teile für die Puppenproduktion die Geliererei verlassen haben, erfolgt das Bohren der Arm- und Beinlöcher und das Zusammenstecken der einzelnen Teile. Gesichter müssen bemalt und Haare gesteppt werden.
Während die Puppenkleider bis Anfang der siebziger Jahre noch mit der Hand zugeschnitten wurden, sorgen später drei Zuschneidemaschinen dafür, dass die in Heimarbeit beschäftigten Näherinnen alle Hände voll zu tun haben.
Nach der Verpackung für Export- und Inlandlieferungen verlassen die Puppen ihren Geburtsort.
Baby- und Trachtenpuppen aus Görzke waren in Frankreich und Großbritannien sehr gefragt. Seit 1985 wurden Spielzeugtrommeln nach Belgien, Großbritannien und in die Niederlande exportiert.
In einer geschützten Abteilung für körperlich und geistig Behinderte waren junge Leute mit dem Zusammenstecken und Bekleiden der Puppen sowie bei der Vorbereitung zum Versand beschäftigt. Durch vertragliche Vereinbarung mit der rehabilitationspädagogischen Fördereinrichtung in Benken wurden die Kinder und Jugendlichen dort mit einfachen Arbeiten vertraut gemacht.
Weiterhin bestanden Kooperationsbeziehungen mit einigen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, die die Vollbeschäftigung ihrer Mitglieder außerhalb der Saisonzeiten mit der Heimarbeit für das Puppenwerk Görzke absicherten.
1990 erfolgte die Rückübertragung des Betriebes an die Familie Heise.
1995 mußte die Puppenfabrik „Bärbel“ GmbH trotz größter Anstrengungen von Firmenleitung und Mitarbeitern unter dem Wettbewerbsdruck global-agierender Mitbewerber der Branche die Produktion einstellen.
Jürgen Bartlog